I.
Regulierungsoasen sind Staaten oder Territorien, die die internationalen Standards auf dem Gebiet der Finanzmarktregulierung sowie der Geldwäscheprävention nicht oder nur unzureichend einhalten. Deren Existenz gehört zwar nicht zu den Hauptursachen für die aktuelle Finanzmarkkrise. Unregulierte oder unzureichend regulierte Finanzunternehmen und Märkte unterminieren jedoch die Finanzmarktstabilität. Dies gilt insbesondere für neue Finanzprodukte und neue Marktteilnehmer; Hedge Fonds inbegriffen. In Regulierungsoasen hat die Mehrzahl der Hedge Fonds ihren Sitz. Gleiches gilt für die Zweckgesellschaften zur Durchführung von Verbriefungstransaktionen.
Regulierungsoasen tragen deshalb ihren Teil zur Destabilisierung des Finanzsystems bei. Jeder Staat, der sich internationalen Regulierungs- und Transparenzstandards widersetzt oder diese durch Substandards unterläuft, stellt einen Risikofaktor in einer auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Finanzarchitektur der internationalen Staatengemeinschaft dar. So schaffen „Nicht-kooperierende Staaten und Territorien“ als „Steueroase“ mit einem strengen Bankgeheimnis und der Verweigerung eines Informationsaustauschs über steuerrelevante Kapitalerträge die notwendige Infrastruktur für schädlichen Steuerwettbewerb. Steueroasen wurden lange geduldet; sie sind aber im Zeitalter leerer Haushaltskassen zum Stein des politischen Anstoßes geworden. Für Staaten, die als Regulierungsoasen gelten und dabei regelmäßig mit Steueroasen identisch sind, gilt dies inzwischen auch. Eine laxe Finanzmarktaufsicht in Regulierungsoasen verhindert die Herausbildung eines „level playing fields“ und unterminiert alle Anstrengungen der Staatengemeinschaft zur Harmonisierung der Finanzmarktregulierung.
Der Kampf gegen Steueroasen ist nur eine Facette auf dem Weg zur Austrocknung aller Regulierungsoasen. Die zur Verbesserung der Finanzmarktaufsicht in der Europäischen Union von der Kommission eingesetzte Larosière-Gruppe kommt in ihrem Bericht vom 25.2.2009 an die Kommission zum Ergebnis, dass alle zu beschließenden Anstrengungen zur Herstellung von Finanzmarktstabilität Gefahr laufen, ausgehöhlt und unterlaufen zu werden, wenn sich bestimmte Jurisdiktionen weigern, international vereinbarte Standards anzuwenden. Es handelt sich um diejenigen Staaten, die jeweils in unterschiedlicher Intensität Substandards auf der Ebene der Regulierung aufweisen, nicht dem Transparenzgebot folgen und, wie Offshore-Zentren, keinen Informationsaustausch und keine Rechts- oder Amtshilfe pflegen.
II.
Die Austrocknung von Steueroasen und die weltweite Einhaltung international vereinbarter Standards auf dem Gebiet der Finanzmarktregulierung gehören auch zu der von den G 20-Staaten in ihrem Aktionsplan vom November 2008 und ihrem Communiqué vom 2. April 2009 geforderten Neuen Finanzmarktarchitektur. Stabile Finanzmärkte basieren für die G 20 auf vereinheitlichten Regeln für die Integrität der Marktteilnehmer und der Transparenz von Finanzströmen, die keine Regulierungsschlupflöcher akzeptieren.
Aus der Sicht der G 20 reichen die bestehenden Regulierungsinstrumente bei weitem nicht aus, weltweit einheitliche Regulierungsstandards, internationale Integritätsanforderungen und transparente Finanzströme sicherzustellen. Bereits die Diskussion innerhalb der Europäischen Union zeigt jedoch, dass sich internationale Standards, die eine angemessene Antwort auf die aktuellen Kredit- und Marktrisiken darstellen, nicht über Nacht schaffen lassen.
Die Existenz von Regulierungsoasen ist zusätzlich mit gesteigerten operationellen Risiken für die dort tätigen Unternehmen und Institute und der von Ihnen getätigten Geschäfte verbunden, die im internen Risikomanagement von Konzernen, die durch eine Tochter oder Beteiligung in einer Regulierungsoase präsent sind, zukünftig Berücksichtigung finden müssen. Die Larosière-Gruppe fordert deshalb ebenso wie die von der Bundesregierung eingerichtete „Issing-Kommission“ für Geschäfte in Offshore-Staaten eine höhere Unterlegung von Integritätsrisiken durch Eigenkapital.
Damit die Chance eines allseits beschworenen Neuanfangs bei der Finanzmarktregulierung nicht vertan wird und diese Bereitschaft nicht wieder einmal an nationalen Wettbewerbsvorteilen und Partikularinteressen scheitert, haben sich die G 20 mittelfristig für einen strategisch neuen Ansatz bei der Austrocknung von Regulierungsoasen entschieden: Um der Re-Regulierung und dem Druck auf Regulierungsoasen mehr Schub zu geben, fordern die G 20, dass der Financial Stability Board (FSB) auf dem Gebiet der Finanzmarktregulierung, die OECD im Bereich der Maßnahmen gegen den schädlichen Steuerwettbewerb und die Financial Action Task Force on Money Laundering“ (FATF) für den Bereich der Geldwäscheprävention und der Verhinderung der Terrorismusfinanzierung jeweils die Einhaltung internationaler Standards überprüfen und Instrumente entwickeln, wie die konsistente Einhaltung der Standards gesichert bzw. deren Nicht-Einhaltung bestraft werden kann. Unterstützt werden könnte dieser Ansatz durch die Vereinbarung eines „Global Standard“, der die internationalen Standards in den genannten Bereichen zusammenfasst – dies wird derzeit auf G7/G8-Ebene und im Zusammenhang mit der Charta für nachhaltiges Wirtschaften diskutiert, wie sie die deutsche Bundeskanzlerin gefordert hat.
Die G 20 Staats- und Regierungschefs haben damit keinen Zweifel daran gelassen, dass sie Maßnahmen gegen „nicht kooperierende“ Staaten und Gebiete in Betracht ziehen werden, wenn den Zusagen dieser Staaten nicht die unverzügliche Umsetzung folgt. Erste Fortschritte auf dem Weg zur Überprüfung der Einhaltung und zu möglichen Sanktionsmaßnahmen werden bis zum nächsten Treffen der G 20 Finanzminister und Notenbankgouverneure im September 2009 erwartet.
Der Kampf gegen Steueroasen zeigt, dass internationaler Druck nicht ohne Wirkung bleibt So haben bedeutende Finanzzentren wie z.B. Hongkong, Singapur , aber auch Liechtenstein oder Monaco die Standards der OECD akzeptiert und ihre Implementierung angekündigt, weil sie erstmals reale Sanktionen fürchten, seit die G 20 Staaten angesichts der Wirtschaftskrise über eine „Schwarze Liste“ diskutieren, auf der unkooperative Finanzplätze nicht nur im Wege des „naming and shaming“, sondern als Adressat von harmonisierten Gegenmaßnahmen gelistet werden.
III.
Trotz der im G 20-Prozess erreichten Fortschritte gegen Regulierungsoasen muss ein international abgestimmtes Vorgehen und die Schaffung internationaler Regulierungsstandards durch nationale Maßnahmen flankiert werden. Der Einhaltung von Auskunfts- und Kooperationspflichten im Konzern gegenüber den nationalen Aufsichtsbehörden kommt dabei eine besondere Bedeutung zu.
Anders als die internationalen Standards haben diese Maßnahmen keine exterritoriale Wirkung. Adressat dieser zusätzlichen Maßnahmen sind diejenigen Personen und Unternehmen in Deutschland, die von der Existenz des schädlichen Steuerwettbewerbs und der Substandards auf der regulatorischen Ebene profitieren. Ebenso wie bei der Bekämpfung der Steuerhinterziehung und der Durchsetzung von Grundsätzen fairen Verhaltens bei der Besteuerung kann das „Oasen“-Problem nicht allein dadurch gelöst werden, dass internationaler Druck gegen „nicht-kooperative Staaten bzw. Regulierungsoasen“ aufgebaut wird.
Im Lichte der modernen Informations- und Kommunikationstechnik betrachtet sind die Regulierungsoasen sowieso in vielen Fällen nichts weiter als „exterritoriale Gebiete“ in den Rechenzentren der großen Finanzinstitute in New York oder anderen Finanzplätzen. Geschäfte, die Regulierungsoasen aufsichtsrechtlich oder steuerrechtlich zugeordnet werden, werden vielfach nicht in Vanuatu, auf den Cocos-Islands oder auf den Virgin Islands getätigt, sondern unmittelbar in den Finanzzentren selbst. Dort, in den Finanzzentren, werden die Projektfinanzierungen geplant und Milliardensummen „aufsichtsfrei“ verwaltet, wobei die Briefkastenfirmen und anderen intransparenten Vehikel der jeweiligen Regulierungsoase zugeordnet werden. Der mit den Banken verzahnte Berufzweig der in London oder in New York residierenden „trust or company service provider“ legt die steuerrechtlichen Optimierungsmodelle auf, gestaltet die intransparenten Trustkonstrktionen nach dem Recht einer Regulierungsoase und sorgt für deren Gründung in einer Steueroase.
Diesen doppelgleisigen Ansatz hat die Bundesregierung im Rahmen des „Gesetzes zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung“ beschritten, in dem sie nicht nur hinter den internationalen Maßnahmen der OECD, G 20 oder FATF steht, sondern zusätzlich Personen, die in Deutschland steuerpflichtig sind oder deren Konzernmütter in Deutschland ihren Sitz haben, in die Pflicht nimmt. Dieser zusätzliche Druck auf Steuerpflichtige und Finanzintermediäre zur Eindämmung der Nutzung von Steueroasen ist unverzichtbar und zeigt Wirkung. . Die Maßnahmen des International Revenue Service (IRS) der USA gegen die schweizerische UBS und deren US- amerikanischer Kundschaft haben dies deutlich gemacht.
Dieser Ansatz liegt auch den Maßnahmen zur Herstellung von „Group Compliance“ im Bereich der Geldwäscheprävention zugrunde, die durch Ergänzung des Kreditwesengesetzes seit März 2009 wirksam sind. Sie führen dazu, dass für den Bereich der Geldwäscheprävention im gesamten Konzern die gleichen Sorgfaltspflichten Geltung finden müssen. Keine deutsche Bank kann sich in Zukunft auf die laxe Rechtslage in einer Regulierungsoase berufen. Können die in Deutschland geltenden Sorgfaltspflichten bei einer Tochtergesellschaft einer deutschen Bank in einer Regulierungsoase nicht erfüllt und deshalb Transparenz bezüglich des Kunden nicht hergestellt werden, muss die Konzernmutter sicherstellen, dass eine solche Geschäftsbeziehung gekündigt wird.
Mittelfristig geht es um die Ausweitung aller Regeln für die interne Kontrolle von Filialen und Tochtergesellschaften, so dass im gesamten Konzernbereich die gleichen aufsichtsrechtlichen Vorschriften angewendet werden müssen, sofern nicht strengere Regeln vor Ort bestehen. Der Konzern muss parallel hierzu dem nationalen Regulator am Sitz des übergeordneten Unternehmens eine vollständige Übersicht über dessen Geschäftsaktivitäten in allen zum Konzern gehörenden Tochtergesellschaften und Beteiligungen verschaffen. Inzwischen findet die Bundesregierung mit dieser Forderung bei den G 20-Partnern verstärkt Gehör, so dass sich auch die Chancen für weltweit verbindliche „Group Compliance-Standards verbessert haben.
- Dossier: Wege aus der Weltwirtschaftskrise